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Weiter über die Plädoyers im Heinrich-Boere-Prozess in Aachen spricht KLAUSENs

klau|s|ens, du wolltest doch die plädoyers von staatsanwaltschaft und nebenklage nochmals revue passieren lassen.

ja, es waren die plädoyers von staatsanwaltschaft und nebenklage. am 2.3.2010.

was gibt es noch zu sagen? nach gestern?

zuerst möchte ich ein realgedicht einfügen.

ein realgedicht?

ja, ich sah die zeilen im justizzentrum aachen. sie stehen auf einer tür.

wo?

unten im erdgeschoss, raum 0.014, direkt an den bereich der cafeteria angrenzend.

wie lautet es? dein gedicht?

der titel ist von mir, der text ist real:

2 MAL 2 ODER GAR 3 BEDEUTUNGEN

Anweisungsstelle
Bitte einzeln eintreten

Copyright Klau|s|ens, in allen Schraibwaisen und Schreibweisen, u.a. als Klausens oder Klau§s§ens oder Klau/s/ens am 2.3.2010, Dienstag, Landgericht Aachen, Justizzentrum Aachen, Beschriftung im Gebäude A, Ebene 0, Raum 0.014.

du willst uns zeigen, wie die sprache schillert.

genau: „anweisung“ hat zwei konnotationen (und eigentlich ja auch „stelle“) … und „einzeln eintreten“ ja auch.

und das bei der justiz!

die justiz versucht rechtsverhältnisse sprachlich zu fassen, umkreist dann dieses und jenes, macht noch einen satz und noch einen rückbezug … und doch: wie schnell tappt man in seine eigenen fallen. allein: wie hört sich „anweisungsstelle“ überhaupt an, wenn man einem NS-mord-prozess beiwohnt. allein schon der klang! LTI – ich erinnere an LTI.

was meinst du?

LINGUA TERTII IMPERII – „LTI“, das buch von klemperer.

du hast so recht. – aber nun kommen wir doch zu den plädoyers. bzw. zu dem von rechtsanwalt heiermann.

ich hatte schon gesagt, dass es um „lebenslänglich“ geht, vielleicht auch um lebenslänglich bei besonderer schwere der schuld. heinrich boere soll nach den plädoyers jedenfalls lebenslänglich in haft.

ja, das wissen wir. aber was war denn nun 1984?

diesem jahr hat sich besonders der anwalt wolfgang heiermann gewidmet, er vertritt die angehörigen des ermordeten bicknese, er sprach auch direkt im auftrag von dolf bicknese.

was war denn 1984?

da hat man in dortmund in der zentralstelle zur verfolgung nationalsozialistischer verbrechen das verfahren gegen boere eingestellt. 1980 gab es ja ein auslieferungsersuchen aus den niederlanden.

zentralstelle?

die wurde gegründet, 2 x in NRW, köln und dortmund. in köln sollte man sich auf die verbrechen in KZ konzentrieren.

und weiter.

diese zentralstellen waren früher nicht so sehr effizient, insgesamt war die aufklärung der NS-verbrechen aus sicht der opfer und vieler kritiker nicht effizient, und wohl auch nicht wirklich wahrhaft gewollt.

wieso?

es gibt z.b. eine veröffentlichung „Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen – Band IX -:
Die Zentralstellen zur Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen – Versuch einer Bilanz
„. (2001, 96 Seiten.)

aha.

hier in kürze die essenz der veröffentlichung, zusammengefasst von dr. gerhard pauli, leiter der zentralen dokumentations- und forschungsstelle an der justizakademie des landes nordrhein-westfalen:

„Zu spät, zu wenige, zu milde“ – so wird häufig pauschal über die Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen durch die deutsche Justiz geurteilt. Gewichtige Fakten stützen diese Beurteilung. Erst Ende der 50er Jahre kam eine systematische Verfolgung dieser Taten in Gang. Die Zahl der rechtskräftig verurteilten Täter ist in Relation zu den bekannt gewordenen Verbrechen und den daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahren verschwindend gering. Die häufige Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen erscheint angesichts der angeklagten Mordtaten nicht angemessen. Der neue Band der Schriftenreihe „Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen“ widmet sich aus der Perspektive der Staatsanwaltschaft diesem Thema.

ich verstehe. und 1984 gab es auch noch diesen geist des zurückhaltens, des nichtbefassens, des wegschiebens, des nicht-wahr-haben-wollens, des die-täter-deckens.

offensichtlich. und rechtsanwalt heiermann nannte den namen von hermann weissing, der damals diese zentralstelle zur verfolgung von NS-verbrechen in dortmund als staatswanwalt leitete.

eben jener weissing war verantwortlich für die einstellung des verfahrens gegen boere?

genau das. und der weissing hatte ja argumentiert, dass diese erschießungen, die boere durchführte, diese morde, dass diese berechtigte repressalien gewesen seinen, nach der haager landkriegsordnung, und dass boere zudem unter befehl gehandelt habe.

dadurch war das verfahren dann zum erliegen gekommen.

so ist es: boere blieb weiter unbehelligt, bis die sache dann später unter einem neuen staatsanwalt, ulrich maaß, wieder aufgegriffen wurde. (boere war übrigens im rahmen dieses auslieferungsverfahrens 1983 kurzzeitig in auslieferungshaft. )

und rechtsanwalt heiermann hat auf diesen hermann weissing vorgestern im gericht in aachen hingewiesen.

ja, als ein beispiel für das versagen der deutschen justiz, wohlgemerkt 1984, da sind wir schon 16/17 jahre nach der APO-zeit, die ja dieses verschleiern der NS-verbrechen im deutschland der nachkriegszeit immer gebrandmarkt hatte.

ich sehe, ich sehe.

heiermann verwies darauf, dass jener staatsanwalt hermann weissing in seinem einstellungsbeschluss oder seiner einstellungsverfügung 1984 sogar ein völkerrechtslehrbuch von friedrich berber zitiert hatte. und jener berber wiederum war in der NS-zeit überaus aktiver rechtsgelehrter, also eine anhänger der nazis und aktiv in den NS-verbänden wie NS-dozentenbund oder NS- rechtswahrerbund. er war völkerrechtsexperte für außenminister ribbentrop und einer der begründer der expansionistischen völkerrechtsdefinition des nationalsozialismus.

und weiter?

heiermann verwies auch auf den fall von anton malloth, ein ganz schlimmer typus „schlächter“ im KZ theresienstadt, gegen den auch das verfahren eingestellt bzw. keine anklage eröffnet wurde, offenbar in den 70er jahren. damals hatte es z.b. geheißen, man könne malloth nicht ausfindig machen, wobei dieser ganz schlicht und einfach im telefonbuch von meran (tirol) in italien zu finden war. malloth war in der tschecheslowakei zum tode verurteilt worden, in abwesenheit, lebte bis 1988 in meran, unbehelligt, wurde 1988 nach deutschland ausgeliefert, wohnte dann wohl in pullach, etc.  – das verfahren gegen malloth wurde erst jahre später wieder aufgenommen, unter anderen vorzeichen, in münchen. 2000 dann begann das verfahren, 2001 das urteil zu lebenslang. (beim fall malloth, der für viel aufsehen sorgte, war bei der zentralstelle in dortmund der staatsanwalt klaus schacht wohl derjenige, der direkt unter beschuss geriet. bei der generalstaatsanwaltschaft in hamm wiederum war jener hermann weissing aber für die zentralstelle dortmund zuständig. weissing  war amtsvorgänger schachts als leiter der zentralstelle und wohl eng mit eben diesem schacht befreundet. das sind dann extra geschichten. der fall malloth führte zu vielen weiteren eklats und diskussionen in der BRD.)

dann bleibt es bei einer deutschen justiz, die unglaublich lasch und weich und seltsam destruktiv bisweilen daherkam?

so muss man urteilen, und das ging bis hinein in die 80-er jahre. so lange hielt so mancher schützend seinen arm über NS-verbrecher. und wer weiß, welche dieser menschen dann wiederum „anerkannte nachbarn“ waren. die welt kommt so seltsam daher. siehe doch nur diesen panaroma-bericht, wo hermann weissing zu groben versäumnissen im fall priebke befragt wird: PANORAMA vom 22.8.1996.

und darüber sprach heiermann? über versäumnisse der justiz? bei der aburteilung von NS-verbrechern?

genau: er nahm diesen boere-prozess, der ja nun endlich zustande gekommen ist, zum anlass, über die geschichte der deutschen justiz hinsichtlich der verfolgung von NS-verbrechen nachzudenken. (so ein plädoyer hat ja nicht unendlich zeit! man kann nur ein paar denkanstöße geben.) … und dieser hermann weissing, der nicht irgendein staatsanwalt war, sondern der in dortmund genau die stelle leitete, die NS-verbrecher anklagen sollte … der war eben auch so ein „besonderer fall“.

aber jetzt liegen die dinge doch anders!

das braucht keinen freudenschrei zu ergeben, weil es ja kaum noch lebende täter gibt, die man anklagen und verurteilen kann. viele sind straffrei verstorben. sie können da und dort gewohnt haben, als „brave bürger“, und sie sind ohne rechenschaft ablegen zu müssen dann als unbestrafte verbrecher in den tod gegangen. das wissen wir ja auch von mitgliedern des „kommando feldmeijer“.

das alles sei im prozess um heinrich boere zu bedenken?

das alles … und noch viel mehr. rechtsanwalt heiermann verlas dann für seinen mandanten dolf bicknese u.a. diese worte: „es wäre für euopa ein hohn gewesen, wenn ausgerechnet ein SS-mann als erster von den lissaboner verträgen profitiert hätte.“

was ist das denn nun wieder?

da geht es um eine weitere variante in diesem verfahren, und um einen beweisantrag der anwälte von boere, die mit hilfe des inkraftretens der lissaboner/lissabonner verträge (und der darin genannten nicht-mehr-möglichen doppelverurteilung in 2 ländern der unterzeichnerstaaten) ihren mandanten straffrei bekommen wollten und eine einstellung des verfahrens herbeizuführen gedachten.

mensch, was alles zu beachten und zu wissen und zu lernen ist!

LIVE-GEDICHTE: KLAUSENS BEIM HEINRICH-BOERE-NS-KRIEGSVERBRECHERPROZESS IN AACHEN http://www.klausens.com/klausens-beim-boere-ns-kriegsverbrecherprozess-in-aachen.htm

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