Das Urteil „lebenslang“ gegen den NS-Mörder Heinrich Boere im Prozess in Aachen im Justizzentrum erlebt KLAUSENS

ach, klau|s|ens, das urteil ist da.

ich weiß, wir haben es selbst vernommen, zweitklausens.

„lebenslang“.

aber nicht  „bei besonderer schwere der schuld“.

dennoch lebenslang.

gewiss, lebenslang – aber ein leben ist nicht so lang.

wie meinst du das?

das urteil ist gesprochen, aber die revision wird kommen. so sicher wie das amen aller kirchen der opfer.

und?

das bringt ewige verzögerungen. ewige. wir haben den BGH und wohl noch den den europäischen gerichtshof. beides scheint ziemlich klar.

wieso denn?

weil doch die anwälte von boere revision einlegen werden. und sie sagen, dass es keine doppelbestrafung nach artikel 50 der grundrechtecharta (und den lissabon(n)er verträgen) geben darf. das wird der kern sein. sie, die charta, wurde vom ersten europäischen konvent erarbeitet und vom europäischen parlament und vom rat der europäischen union gebilligt. aber: rechtskraft bekam diese (obschon am 7. Dezember 2000 feierlich proklamierte) charta jedoch erst am 1. dezember 2009 gemeinsam mit dem inkrafttreten des vertrags / der verträge von lissabon. da liegt der casus knaxus.

der kern der revision? nicht „befehlsnotstand“? sondern diese charta-sache? denkst du?

sicher, und boere sitzt … und schweigt. „und er sprach kein wort“, so müsste der roman über boere heißen.

er hat nie etwas gesagt?

fast nie, fast nie. im gesamten prozess. das meiste über die anwälte, die schriftsätze (für ihn) verlasen, die jener heinrich boere (der angeklagte) sie (die anwälte) hat wahrscheinlich auch noch fast im alleingang schreiben lassen.

dann ist boere ein dumpftäter?

„dumpftäter“? neues wort? man weiß es nicht, denn im altersheim, in dem er lebt, in oder um oder bei eschweiler, soll er sehr munter und heiter aufgetreten sein, haben mal zwei pflegerinnen anlässlich der befragung zu seiner gesundheit vor vielen, vielen monaten ausgesagt. (zum OLG köln wohl.)

und im gericht? jetzt? in aachen? justizzentrum?

da saß er immer in seinem rollstuhl, teils wie erstarrt. man wusste nicht, was er wie aufnimmt. so war es auch heute bei dem urteil. selten zeigte er was im gesicht. oft starre, bisweilen ein seltsames lächeln. oder einen verzogenen mund. wenig deutliche reaktionen.

er hätte doch mal was sagen können, z.b. eine entschuldigung, eine deutliche darstellung von seiner reue, „bereuen“, ein bedauern, den willen nach sühne … alles das. eine entschuldigung bei den angehörigen der opfer. irgendetwas!

hätte, hätte – hat er aber nie. er hätte nur unseren blog lesen müssen … und andere kommentare oder berichte, wo diese aufforderung, dieser wunsch, diese bitte, diese hoffnung … unmissverständlich drin geschrieben standen.

hat er aber nicht! bzw. er wollte es nicht!

genau – und heute zum urteil, waren ja wieder die angehörigen da: angehörige wie der sohn des opfers de groot oder der sohn/die söhne des opfers bicknese. die waren heute da, nachdem sie ansonsten nur zur prozesseröffnung gekommen waren. heute saßen sie neben ihren nebenklageanwälten hartmann und heiermann.

und dann kam das urteil.

ein urteil, welches wohl nicht vollstreckt werden wird.

weswegen?

wegen der revision und wegen der revision. und nochmals: wegen der revision. – man muss sich das überlegen: die anwälte haben da mit der geltung der lissabon(n)er verträge zum 1.12.2009 etwas „ausgegraben“, was kopfzerbrechen macht. das gericht hat zwar am 8.12.2009 die sichtweise der verteidigung zurückgewiesen, aber dennoch: es folgt sicherlich die revision. und weil es hier um den gegensatz / den widerspruch / die einschränkung / die nichtdeckungsgleichheit von artikel 50 der grundrechtecharta und § 54 des schengener durchführungsabkommens geht (SDÜ), und weil die richter meinen, der § 54 SDÜ sei eine zulässige konkretisierung von artikel 50 der grundrechtecharta … weil das also so ist, konnte der prozess weitergehen und wurde nicht eingestellt.

aber?

die anwälte sehen immer noch alles anders … und nun ihre chance. sie werden alle linien des rechtes durchziehen, und das kann jahre dauern. 3, 4, 5??? man weiß es nicht.

dann hat die karriere von 2 anwälten gesiegt?

nicht so ganz, aber teilweise doch: die anwälte wollen sich profilieren, haben ein rechtsminenfeld entdeckt, wie pioniere … und werden nun ihren ruhm als anwälte mehren wollen, einfach wegen dieser kniffeligen rechtslage in europa, wo es um das verbot von doppelverurteilungen geht. (und es gab ja dieses todesurteil vom oktober 1949, was nie vollstreckt wurde, und da war boere ja auch schon seit 2 jahren geflohen. versteckt. untergetaucht. noch in den niederlanden, erst offiziell ab 1.11.1954 in deutschland. als „staatenloser“ wie er heute gilt. früher galt er auch mal als möglicher deutscher, wegen seiner zugehörigkeit zur waffen-SS. ach ja: oktober 1949, amsterdam, ein urteil ohne angeklagten und ohne ordentliche verteidigung. von einem sondergericht in den niederlanden. ein urteil, welches eigentlich keinen bestand hat, heute, nach den prinzipien des rechtstaates, aber von den anwälten nichtsdestotrotz als „gültiges“ urteil gesehen wird.)

dieses thema „urteil ja“ und „noch ein urteil nein“ (keine doppelverurteilung) wird also boere retten?

wenn man hart ist, muss man sagen: die eitelkeit der beiden boere-anwälte (bzw. generell der jeweiligen akteure im rechtssystem) könnte heinrich boere vor dem absitzen der strafe retten.

trotz lebenslang?

trotz lebenslang. wegen der revision. solange die läuft, wird boere, der herzkranke boere, nicht in haft kommen, wie es aussieht.

ist das nicht total beschis….?

ja, ja, man kann es laut sagen. der rechtsstaat ist wunderschön. – wenn er aber zu einer maschine verkommt, die sich selber in ihren eitelkeitswollensansprüchen der akteure aushebelt, statt ihre funktion noch zu erfüllen … dann weiß man nicht mehr recht weiter.

„eitelkeitwollensansprüche“? neues wort? – du bist also böse auf die anwälte?

ich verstehe sie, ich verstehe viele menschliche regungen … aber das rechtsgut einer verurteilung und in-haft-nahme eines NS-mörders wie heinrich boere ist wohl doch noch wichtiger als die grundrechte-SDÜ-grundfrage-prominenz von 2 anwälten namens christiansen und rahmlow. auch von den anwälten ist moral und bürgerliche kernsubstanz gefragt. zivilcourage im alltäglichen tun. haltung!

was ist zu tun?

nichts. man kann nur warten, immer nur warten.

dann ist das urteil gut und schlecht zugleich?

das urteil kann nichts für die komplexe rechtslage. die richter und geschworenen haben alles abgewogen, und alles hörte sich mehr als plausibel an. sie haben auch (wohl taktisch-absichtlich) einige, ganz wenige mildernde umstände gelten lassen und die strafe „nur“ auf lebenslang gesetzt, (also keine besondere schwere der schuld) – und das alles aber wegen glasklarer 3 heimtückischer morde. (nur die „niederträchtigen beweggründe“ seien 66 jahre nach der tat schwer aufzubröseln.)

und?

es ist vielleicht alles gut, wie es ist. oberstaatsanwalt maaß meinte später draußen, bei den interviews, wenn es (zeitlich) ohne den europäischen gerichtshof abginge, dann könnte mit etwas glück die BGH-entscheidung in der revision schon ende des jahres vorliegen. aber soll man auf so ein glück hoffen? als rechtsrealist? ein BGH-urteil wird boere nicht in haft bringen, wenn dann der EGH noch dranhängt.

wir heißen euch hoffen.

ich sehe das alles nicht. ich sehe die jahre vorbeistreichen. boere lebt weiter im altersheim. er hat nichts wirklich bereut, nichts wirklich dazu ausgesprochen und gesagt, schon ja nicht an die angehörigen. es ist traurig.

eine vertane chance?

das meinten die richter (vorgetragen wurde vom vorsitzenden der kammer, gerd nohl) auch – mit bedauern. mehrfach gar: dieser prozess war eine vertane chance, weil einer der täter von einst, der nun noch LIVE und vor aller welt (so) viel zu unserem wissen über motive und absichten der SS-täterschaft und des NS-denksystems hätte beitragen können, nichts gesagt hat. fast nichts. aber eigentlich: nichts!

das aber wiederum könnte man auch den anwälten ankreiden, die diesen eher ungebildeten menschen „geführt“ haben.

sicher, das ist wohl alles prozesstaktik. am meisten ärgert mich, wenn boeres anwälte berühmt werden, weil sie einen widerspruch zwischen artikel 50 der grundrechtecharta und § 54 SDÜ entdecken … aber boere zugleich munter und vollkommen uninhaftiert im altersheim den scherzkeks abgeben darf. das ist nicht zu fassen.

nichts ist zu fassen!

immerhin hat man boere gefasst, aufgespürt, verhaftet: in deutschland, wo er „unbescholten“ vor sich hin lebte. damals. in den 80ern. das war ja auch schon eine leistung (dank an die niederländischen journalisten, die das hervorbrachten). der prozess selbst auch ist eine leistung. dieser neue prozess, 66 jahre nach der tat. endlich. und die strafe „lebenslang“ auch.

also doch noch versöhnlich?

alles ist jedoch alles andere als perfekt. – aber immerhin hat man das gefühl, die deutsche justiz hat nun einige lektionen aus ihrer eigenen versagensgeschichte gelernt. kompliment an das weise, sachliche gericht und an die selbstbewusste nebenklage. kompliment an die besonnen-kluge staatsanwaltschaft aus dortmund (die herren maaß und brendel). sogar kompliment an die verteidigung für diesen einen „lissabon-kunstgriff“, für den ich sie zugleich aber auch furchtbar verachte. (karriere ist ein problem für sich, und moral ein anderes.)

LIVE-GEDICHTE und viele Informationen zum Prozess: KLAUSENS BEIM HEINRICH-BOERE-NS-KRIEGSVERBRECHERPROZESS IN AACHEN http://www.klausens.com/klausens-beim-boere-ns-kriegsverbrecherprozess-in-aachen.htm

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